Anna aus Attendorn

Annas Mutter kommt aus Spanien, ihr Vater aus Italien. Sie selbst arbeitet seit über 20 Jahren im Jugendzentrum Attendorn und initiiert und begleitet Kulturprojekte für Jugendliche. Seit 1995 gehört sie zum Orgateam des Gauklerfestes in Attendorn.  Außerdem ist sie seit 2020 Mitglied im Kreistag des Kreises Olpe.  
Lesen Sie hier Annas Geschichte…

Ein Zeichen der Stärke 

Als meine Mutter, eine spanische Einwanderin, im Alter von 22 Jahren nach Deutschland kam und meinen Vater, einen ebenfalls zugewanderten Italiener, kennenlernte, begann eine Geschichte, die unsere Familie für immer prägen sollte. Gemeinsam hatten sie drei Kinder und ich war eines von ihnen. In dieser Zeit, als sich das folgende Ereignis zutrug, war ich etwa zehn oder elf Jahre alt und begleitete meine Mutter in den „Ihr Platz“, eine bekannte Drogeriekette. 

Meine Mutter suchte nach einem bestimmten Produkt, konnte es jedoch nirgendwo finden. Sie entschied sich, eine Verkäuferin um Hilfe zu bitten. Während sie ihr Anliegen vortrug, stand ich zwischen den Regalen mit Batterien und Kaugummis und beobachtete das Geschehen. 

Plötzlich durchdrang eine laute Stimme den gesamten Laden. Es war die Verkäuferin, die meiner Mutter in einem herablassenden lauten Tonfall antwortete: „Ich verstehe Sie nicht, was wollen Sie?“ Die Worte drangen laut und verletzend an meine Ohren. Sofort richtete sich mein Blick auf die Quelle dieser respektlosen Äußerung. 

Ich sah meine Mutter, die der Verkäuferin gegenüberstand und ihre Frage erneut stellte. Doch anstatt angemessen zu reagieren, wiederholte die Verkäuferin in derselben herablassenden Lautstärke, dass sie meine Mutter nicht verstünde. 

Mir war bewusst, dass meine Mutter ein klares und verständliches Deutsch sprach und die Worte der Verkäuferin erfüllten mich mit Wut und Empörung. Wieso wollte sie meine Mutter bloßstellen? Meine Mutter bemerkte meinen aufgebrachten Blick und schüttelte leicht den Kopf, als würde sie mir signalisieren, mich zurückzuhalten. Sie nahm meine Absicht wahr und wollte eine Eskalation vermeiden. 

Ich blieb neben meiner Mutter stehen. Sie wandte sich erneut an die Verkäuferin und fragte sie, warum sie sie nicht verstehen könne, ob sie etwa kein Deutsch spreche. Die Verkäuferin sah meine Mutter verdutzt an, während sich immer mehr Kunden um uns versammelten und das Geschehen aufmerksam beobachteten.  

Die Verkäuferin war zunehmend verunsichert und schaute sich um, bis sie schließlich mit ihrer Hand auf das Regal zeigte, in dem das gesuchte Produkt stand. Es schien, als würde ihr plötzlich bewusst, dass alle um sie herum erkannt hatten, dass sie absichtlich meine Mutter missverstanden hatte. 

Diese bedankte sich höflich bei der Verkäuferin und machte sich auf den Weg, um das Produkt zu suchen. Während sie ging, blieb ich noch einen Moment stehen und sah die Verkäuferin weiter an. Sie tat mir plötzlich leid. Meine Mutter hingegen hatte mal wieder meinen allergrößten Respekt 

Es gab Momente, in denen ich mich hilflos fühlte und am liebsten lautstark gegen die Ungerechtigkeit protestiert hätte. Doch meine Mutter lehrte mich eine wertvolle Lektion: dass Stärke nicht immer durch laute Worte ausgedrückt werden muss. 

Sie verstand, dass ihre Würde nicht davon abhing, wie andere sie behandelten, sondern wie sie selbst auf die Herausforderungen des Lebens reagierte. Sie besaß eine innere Stärke, die sie aus ihrer Geschichte als Einwanderin schöpfte. Sie hatte Hindernisse überwinden müssen, um ein neues Leben in einem fremden Land aufzubauen. 

Sie hat mir beigebracht, dass wahre Stärke darin liegt, sich nicht von den Taten anderer bestimmen zu lassen, sondern die eigene Würde zu bewahren und mit Respekt und Anstand zu handeln. 

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