Das Projektkonzept

„Interkulturelle Biographiearbeit in Südwestfalen – Erzähle Deine Geschichte!“

DIE GEWESENEN

nicht einen Schritt kann ich tun
ohne den Gewesenen zu begegnen
die Frauen eine Schirmmütze tragen
und Jogginghose die eine in pink
wissen das nicht, die Gewesenen
hinter und vor ihnen und begleiten sie
den Berg hinauf mit ihren Kindern
besteigen, deren Fahrräder schiebend, wenn
sie noch klein sind
das ist interessant und kaum zu glauben
am Fuße des überwucherten Friedhofs
entkorken die Jungens ihre Biere, rauchen,
Musik, Hosen in Tarnfarben und kurz geschnittene
Haare, sehr kurz.
Die Gewesenen, gehen mitten durch sie hindurch
es stört sie nicht einer rülpst sie sehen dem Wege
nach als sei da einer gegangen
es war aber nur ich.

ESTHER DISCHEREIT

Das Projekt wurde zwischen 2021 und 2023 umgesetzt und durch öffentliche und private Partner in zwei Phasen gefördert.

Das Ziel des Projekt:
(Auszüge aus dem Projektantrag, verfasst von Dr. Barbara Peveling)

„Das Projekt Interkulturelle Biographiearbeit in Südwestfalen beschäftigt sich mit dem Thema der persönlichen Lebensgeschichte, dem interkulturellen Gedächtnis und dem persönlichen Erleben, um dieses in den Zusammenhang mit der Wirtschaftsgeschichte der Region, als auch der Flüchtlingskrise der letzten Jahre zu setzen. Im Zentrum steht die Gestaltung von literarischen Memen, als literarische Texte, durch die geschichtstragenden Menschen sich selbst ausdrücken und dokumentieren. Dasselbe gilt auch für ihre bildliche Darstellung. Dieses findet seinen Ausdruck in einer literarischen und bildlichen Dokumentation, die aus den von den Teilnehmern geschriebenen Texten, sowie Fotografien, besteht. Beides wird von einer persönlichen, genauso wie lokalen, als auch globale Geschichte getragen.

Südwestfalen ist eine starke, traditionsreiche Wirtschaftsregion, die schon seit jeher auf Zuzug/Migration angewiesen war und auch auf eine erfolgreiche Migrationsgeschichte zurückblicken kann.

Die Geschichte der „GastarbeiterInnen“ und damit Migration beginnt in Deutschland in den 1950er Jahren mit dem wirtschaftlichen Aufschwung. Seit dieser Zeit leben und arbeiten Menschen aus anderen Kulturen im Land und haben mitgeholfen, eine stabile Wirtschaft aufzubauen. Diese Menschen haben den ihren eigenen Habitus, ihre Tradition und ihre Familien ins Land gebracht. Einfach alles, was zu ihrem Leben gehört. So auch in Südwestfalen.

Das Projekt Interkulturelle Biographiearbeit in Südwestfalen interessiert sich für die Biographien der Menschen in der Region, um den Entwicklungsprozess von der Existenz als „GastarbeiterInnen“ hin zu der gesellschaftlichen Stellung als „MitbürgerInnen“ nachzuzeichnen. Südwestfalen steht dabei exemplarisch für die deutsche Geschichte als Einwanderungsland.

Ein Anliegen ist auch, das respektvolle Zusammenleben als Möglichkeit und Potential sichtbar zu machen, um ein Zeichen gegen rechte Bewegung und gesellschaftlichen Katastrophen wie Hanau zu setzen.

Dem Projekt Interkulturelle Biographiearbeit in Südwestfalen geht es darum, den Menschen, die maßgeblich zu dem wirtschaftlichen Erfolg und dem sozialen Zusammenleben Deutschlands beigetragen haben und weiterhin beitragen, ein Denkmal zu setzen und damit die Diversität und Vielfaltigkeit der Region zu entschlüsseln, ohne Herkunft, Hautfarbe, Sprache zu differenzieren.

Dokumentierte Migrationsgeschichte wurde bisher meist im städtischen Bereich angesiedelt. Bei diesem Projekt steht Migration in den ländlichen Raum im Vordergrund.

Die Eckpunkte des Projekts laut Projektantrag:

  • Menschen mit Migrationshintergrund sind eingeladen, aus ihren Erfahrungen, Biographien und Erlebnissen zu erzählen, um auf diese Weise ein Gesamtkunstwerk zu schaffen. Dabei geht es um Empowerment der sozialen Akteure.
  • Die Geschichten werden nicht mittels eines Interviews mit vorgegebenen Fragestellungen oder eines geleiteten Gespräches entlockt, um anschließend journalistisch überformt zu werden. Die Menschen sollen dazu ermächtigt werden, ihre Geschichten selbst niederzuschreiben und dabei den Schwerpunkt frei auswählen. Ein Interview gibt immer eine Vorgabe. In diesem Projekt wird praktisch die ethnologische Methode der teilnehmenden Beobachtung zum künstlerischen Mittel, indem die Menschen selbst erzählen. Das Projektteam gibt dabei nur das Handwerk (Stilmittel, Lektorat etc.).
  • Hierzu wurde an zwei Wochenenden eine gemeinsame Textwerkstatt veranstaltet, zu der die Teilnehmenden eingeladen waren:
    • Am ersten Wochenende werden Methoden des biographischen Schreibens vorgestellt und eingeführt, an ersten Entwürfen und Texten gearbeitet.
    • Das zweite Wochenende ist dem gemeinsamen Lektorat, den notwendigen Methoden und intensiver Textarbeit gewidmet.
    • An den zwei Wochenenden können etwa 15 Menschen teilnehmen.
Foto-Impression des Workshops „Erzähl deine Geschichte in der Wendener Hütte
  • Weiterer wesentlicher Projektbestandteil sind Fotografien.
  • Im Rahmen einer Feldbegehung wird der Fotograf ein sensitive picturing veranstalten, ähnlich dem sensitive reading: Den Menschen wird keine Vorgabe gemacht, es werden keine Bilder „inszeniert“, sondern die Teilnehmer sind eingeladen, sich ihren eigenen Bildkontext zu schaffen.
  • Dirk Vogel wird zudem digitale „Making Offs“ der Schreibwerkstätten erstellen.
  • Der Hauptfokus der fotografischen Arbeit im Projekt dabei liegt aber auf der Erstellung analoger Schwarzweißportraits der einzelnen Personen in den von ihnen selbstgewählten Umfeld mit einer 6×6 Mittelformat Kamera.
    • Es geht darum, die Personen besonders zu würdigen mit der Ernsthaftigkeit und Ruhe, die die Bilder ausstrahlen werden.

Teilnehmer:innen des Projekts:

  • Als erste und wichtigste Zielgruppe sind die Menschen zu sehen, die nach Attendorn und Olpe, überhaupt nach Südwestfalen aus dem Ausland gekommen sind, um dort zu arbeiten, um zu helfen, die Region zu einer der stärksten Industrieregionen Deutschlands zu machen. Ihnen soll ein Denkmal gesetzt werden.
  • Auch Menschen mit einer kürzeren Migrationsgeschichte, die im Zuge der Flüchtlingskrise nach Südwestfalen gekommen sind und dort eine Heimat gefunden haben, sind willkommen.

Weitere Aspekte im Projekt:

Die Dimension der Sprache wird bei der kultursensitiven Arbeit berücksichtigt und auch das Schreiben in der eigenen Sprache eingebunden. Hierbei wird versucht werden, generationenübergreifend zu agieren, indem jüngere Generationen als Dolmetscher eingebunden werden. Die eigene Sprache wird ebenfalls im Kontext des Workshops thematisiert. Wichtig ist, alle Geschlechter gleichberechtigt einzubinden.

Impression des Schreibworkshops „Erzähle deine Geschichte“ in der Attendorner Moschee

Projektergebnisse:

  • Insgesamt konnte das Projekt in zwei Phasen mit der Unterstützung von starken Partnern umgesetzt werden:
    • so ergab sich zuerst eine geschlechtsgemischte Gruppe (erste Förderperiode in 2021/2022),
    • dann eine reine Frauen-Gruppe (zweite Förderperiode in 2022/2023)
    • und schließlich ein Unternehmensporträt (ebenfalls zweite Förderperiode in 2022/23).
  • Alle Ergebnisse sind auf dieser Webseite dokumentiert. Weitergehende Ergebnis-Präsentationen (Lesungen, Buch-Veröffentlichung, Ausstellung) sind in Planung.